Photo Credit: Department of Labor
Photo Credit: Department of Labor

Im Oktober haben die USA einen der am meisten beachteten Wirtschaftsberichte nicht veröffentlicht: die monatlichen Beschäftigungsdaten. Der Ausfall hat die Zweifel verstärkt, ob die größte Volkswirtschaft der Welt noch verlässliche Daten vorlegen kann, selbst wenn die Veröffentlichungen wieder aufgenommen werden.

Die Verzögerung, die durch den Shutdown der Regierung seit letzter Woche verursacht wird, lässt Investoren, politische Entscheidungsträger und Analysten halb blind agieren. Es ist das erste Mal seit 2013, dass das Bureau of Labor Statistics (BLS) keine monatlichen Beschäftigungsdaten veröffentlicht hat. Während des Teil-Shutdowns 2018/2019 wurde das Arbeitsministerium weiter finanziert. Diesmal gingen die Lichter aus.
Manche meinen, der Shutdown verschärfe ein tiefer liegendes Problem: die Erosion des statistischen Rückgrats Amerikas. Nach Meinung von Marta Khomyn, Dozentin für Finanzen und Datenanalyse an der Universität Adelaide, leben die Amerikaner bereits in einer postfaktischen Welt und das Land könnte nun in das eintreten, was sie das ‚Zeitalter der postfaktischen Statistiken‘ nennt.

Hunderte von US-Datensätzen und mehr als 8000 Regierungswebsites sind verschwunden, weil die Mitarbeiter, die sie pflegen, unter der neuen Regierung entlassen wurden. „Diese Datensätze, die von Steuerzahlern finanziert werden und auf die sich Forscher verlassen, sind nun gefährdet“, sagt Khomyn.

Das Thema hat inzwischen auch außerhalb der akademischen Welt Aufmerksamkeit erregt. „Wir wurden bereits von Hedgefonds-Managern sowohl aus Europa als auch den USA um Hilfe gebeten“, berichtet Lena Bohman, Gründungsmitglied des Data Rescue Project, einem Zusammenschluss von Akademikern, die sich für den Erhalt von Daten von US-Regierungsorganisationen einsetzen. Die Mitglieder des Projekts stellen eine zunehmende Besorgnis auf den Märkten hinsichtlich der Zuverlässigkeit von Regierungsdaten fest.

„Die Sammlung und Pflege offener Datensätze erfordert Heerscharen von Statistikern, Sachverständigen und Entwicklern. Aber viele dieser Experten wurden entlassen“, so Bohman gegenüber Investment Officer. „Der größte Verlust ist bisher bei den Mitarbeitern, die Datensätze erstellen und den Zugriff auf diese ermöglichen, zu verzeichnen und nicht aufgrund von gelöschten Datensätzen“, fährt sie fort. „Aber auch hierfür gibt es Beispiele.“

Das BLS hat sein Programm mit eingeschränktem Zugriff für überprüfte Forscher, die sensible Daten wie Schul- und Krankenakten verwenden, eingestellt. Gleichzeitig gefährden langsame Vertragsverlängerungen für Cloud-Speicher weitere Datensätze der Regierung. „Die Schäden in Bezug auf die Längsschnittdaten beginnen gerade erst“, sagt Bohman. „Wenn das Personal abgebaut wird, werden immer weniger Daten gesammelt.“

Abwärtsspirale

Bereits vor den Wahlen im November wurde vor der Fragilität der amerikanischen Dateninfrastruktur gewarnt. Im Juli 2024 erklärte die American Statistical Association, dass die Integrität der Bundesstatistiken zunehmend gefährdet sei. Als Gründe nannte sie schrumpfende Budgets, sinkende Umfrage-Rücklaufquoten und das Potenzial politischer Einflussnahme.

Der Bericht vergleicht das Statistiksystem des Landes mit einer Infrastruktur, die „lebenswichtig ist, aber oft ignoriert wird, bis etwas schiefgeht“, und warnt vor einer „Abwärtsspirale“, wenn sich nichts ändert.

Die politische Einflussnahme der derzeitigen Regierung hat die Belastung der amerikanischen Dateninfrastruktur noch weiter erhöht. Im August entließ Präsident Trump die BLS-Kommissarin Erika McEntarfer nach einem schwachen Arbeitsmarktbericht und beschuldigte sie, die Zahlen „gefälscht“ zu haben. Ihr designierter Nachfolger, E. J. Antoni, ein konservativer Wirtschaftswissenschaftler, musste seine Kandidatur letzte Woche aufgrund von Kritik an seiner parteiischen Haltung und zweifelhaften Online-Postings zurückziehen.

Das Weiße Haus erklärte, der Präsident bleibe „…entschlossen, die langjährigen Fehler des BLS, die das Vertrauen der Öffentlichkeit in wichtige Wirtschaftsdaten untergraben haben, zu beheben.“

Alternative Daten füllen die Lücke – vorerst

Private Quellen füllen nun die Lücke. Nach Schätzungen des Personaldienstleisters ADP hat die Wirtschaft im vergangenen Monat 32 000 Arbeitsplätze im privaten Sektor verloren, vor allem im Baugewerbe, im verarbeitenden Gewerbe und im Finanzsektor. Nach Angaben von Challenger, Gray & Christmas kündigten die amerikanischen Arbeitgeber im September 54 064 Stellenstreichungen an.

Goldman Sachs schätzt, dass die Zahl der Anträge auf Arbeitslosenunterstützung auf 224 000 gestiegen ist, sich aber immer noch auf einem historischen Tiefstand befindet. Das neue Arbeitslosenmodell der Chicagoer Fed beziffert die Arbeitslosenquote im September auf 4,3 Prozent, wie Reuters berichtet.

Für die Marktteilnehmer sind diese Indikatoren hilfreich, ersetzen aber nicht die offiziellen Daten. Das Research-Team von ING schrieb dazu in einer Mitteilung an seine Kunden, dass es sei, als würde man „Kaffeesud lesen“.

„Private Quellen wie ADP, Homebase und LinkedIn bieten zwar einige Alternativen, aber ihnen fehlt die methodische Strenge und Transparenz der offiziellen Daten“, so Wiersma. „Sie sind nützlich, um die kurzfristige Stimmung abzuschätzen, eignen sich aber nicht als Grundlage für eine strategische Vermögensallokation.“

Jakob Vijverberg, Head of Asset Allocation bei Aegon Asset Management, meint, dass die wenigen vernünftigen Alternativen zu Beschäftigungsdaten nur eine begrenzte Abdeckung bieten. „Für Inflations- und Wachstumszahlen gibt es kaum verlässliche private Alternativen, zum Teil aufgrund des Umfangs und der Komplexität der zugrunde liegenden Daten und Umfragen“, sagt er.

Langfristige Auswirkungen

Nur wenige Investoren erwarten, dass der Shutdown dauerhafte Auswirkungen haben wird, wenn er sich nicht in die Länge zieht. „Wirtschaftsdaten sind vor allem wichtig, um langfristige Trends zu erkennen. Kurzfristige Schwankungen sind weniger wichtig und können sogar störend sein“, sagt Vijverberg. „In diesem Sinne kann es sogar positiv sein, dass die Anleger vorübergehend gezwungen sind, Abstand vom täglichen Lärm zu gewinnen.“

Dennoch räumt er ein, dass die Qualität der Wirtschaftsdaten bereits abgenommen habe. Vijverberg führt dies zum Teil auf die sinkenden Rücklaufquoten bei den Umfragen in den USA zurück und warnte, dass „…die Erosion der Institutionen in den USA, wie der zunehmende Druck auf das BLS und die Zentralbank, einen größeren negativen Einfluss haben wird, insbesondere in Krisenzeiten.“

„Je länger die Unsicherheit anhält, desto wahrscheinlicher ist es, dass es zu bedeutenden Portfolioveränderungen kommt“, sagt Laura Cooper, Head of Macro Credit bei Nuveen. „Dies ist angesichts des aktuellen datenabhängigen Ansatzes der Fed für zukünftige politische Entscheidungen eine besondere Herausforderung.“

Author(s)
Categories
Access
Members
Article type
Article
FD Article
No