
Deutsche Privatanleger haben im ersten Halbjahr fast alle Zuflüsse aus Aktienfonds in börsengehandelte Fonds investiert und damit die Rolle des Landes als Europas größter ETF-Markt gefestigt. Der Anstieg hat den Gebührendruck auf die Vermögensverwalter verstärkt und Fragen über das künftige Gleichgewicht zwischen passiven Produkten und komplexeren Strukturen wie den ELTIF aufgeworfen.
Nach Angaben des deutschen Fondsverbands BVI flossen in den ersten sechs Monaten des Jahres (bis Juni) 19,6 Milliarden Euro an neuen Geldern in Aktienfonds, davon 19,3 Milliarden Euro in ETFs. Über alle Anlageklassen hinweg entfielen auf ETFs 423 Milliarden Euro der gemeldeten Vermögenswerte. Der Verband schätzt den gesamten deutschen ETF-Markt jedoch auf über 600 Milliarden Euro, wenn auch Vermögenswerte außerhalb des Berichtsbereichs einbezogen werden. Damit ist Deutschland der mit Abstand größte nationale ETF-Markt in Europa.
„Für viele jüngere Menschen sind ETFs keine Alternative. Sie sind die Anlage der Wahl“, so Rudolf Siebel, Geschäftsführer des BVI, gegenüber Investment Officer.
Macht der Privatanleger
Die Zuflüsse zeigen, wie schnell deutsche Sparer ETFs angenommen haben. In Deutschland gibt es inzwischen mehr als 30 Millionen Sparpläne, von denen etwa ein Drittel Investitionen in ETFs umfasst. Die monatlichen Beiträge belaufen sich in der Regel auf mehrere Hundert Euro und werden kontinuierlich zu langfristigen Positionen aufgebaut.
Die Pandemie beschleunigte diesen Wandel, da Neobroker und gamifizierte Trading-Apps die Hürden senkten und neue Anleger für globale Aktien-ETFs , die Indizes wie den MSCI World und den S&P500 abbilden, gewannen. Plakatwerbung für ETFs ist im ganzen Land zu sehen.
Für viele Deutsche ist ,MSCI World‘ zu einem Kürzel für ETFs geworden, was ihre Vorliebe für ein einfaches, diversifiziertes Indexprodukt widerspiegelt. Der beliebte Index umfasst mehr als 1300 Unternehmen aus 23 entwickelten Märkten und wird derzeit von 21 ETFs abgebildet.
Der Anstieg in Deutschland erfolgte trotz fehlender Steuererleichterungen. Kapitalerträge einschließlich Dividenden über 1000 Euro pro Jahr werden pauschal mit 25 Prozent besteuert, zuzüglich eines regionalen Solidaritätszuschlags und gegebenenfalls der Kirchensteuer.
Der BVI unterstützt die Einführung einer neuen Steuerregelung, die es Anlegern ermöglicht, ihren Steuerfreibetrag von 1000 Euro über mehrere Jahre hinweg anzusammeln, Siebel räumt jedoch ein, dass eine solche Reform derzeit nicht auf der Tagesordnung des Gesetzgebers stehe.
Fondsindustrie im Umbruch
Während Privatanleger ETFs erst in den letzten Jahren für sich entdeckt haben, setzte diese Entwicklung bei institutionellen Investoren schon früher ein. Der BVI schätzt, dass institutionelle Investoren etwa zwei Drittel des gesamten ETF-Vermögens in Deutschland halten. Nichtsdestotrotz bevorzugen Altersvorsorgeeinrichtungen und Versicherer, die traditionell die größten Investoren in deutsche offene Spezialfonds – die 2200 Milliarden Euro schwere deutsche Variante alternativer Investmentfonds – sind, weiterhin aktive Mandate und festverzinsliche Strategien.
„Privatanleger sind derzeit der Bereich, in dem die eigentliche Dynamik beim Nettoumsatz zu finden ist“, sagt Siebel.
Die starke Nachfrage nach ETFs spielt sich vor dem Hintergrund einer wachsenden Fondsindustrie ab. Das gesamte verwaltete Vermögen in Deutschland erreichte zur Jahresmitte 4,6 Billionen Euro, ein Anstieg um fast 1,3 Billionen Euro in fünf Jahren.
Im ersten Halbjahr 2025 verzeichneten Publikumsfonds Nettozuflüsse in Höhe von 47,8 Milliarden Euro. Anleihenfonds, die hauptsächlich in kurzfristige Anleihen und Unternehmensanleihen investierten, führten die Verkaufsliste mit 22,7 Milliarden Euro an. Ausgewogene Mischfonds sammelten 2,7 Milliarden Euro ein, während auf Geldmarktfonds 5,7 Milliarden Euro entfielen.
Im Gegensatz dazu schrumpften Immobilienfonds weiter und verzeichneten Abflüsse in Höhe von 3,7 Milliarden Euro, wobei das Vermögen von 122 Milliarden Euro zu Jahresbeginn auf 118 Milliarden Euro schrumpfte. Aktienfonds bleiben mit einem Vermögen von 825 Milliarden Euro die größte Kategorie bei den Publikumsfonds insgesamt, gefolgt von ausgewogenen Mischfonds mit 366 Milliarden Euro und Anleihenfonds mit 286 Milliarden Euro.
Geschlossene Fonds, eine kleine, aber wachsende Nische des Marktes, belaufen sich mittlerweile auf 63 Milliarden Euro. Im Jahr 2020 waren es noch 20 Milliarden Euro. Private Equity hat sich zum größten Segment entwickelt und macht fast die Hälfte des Vermögens aus, während Immobilienfonds auf etwa ein Drittel geschrumpft sind. Der Markt ist nach wie vor stark von institutionellen Investoren geprägt, wobei Spezialfonds 94 Prozent des Vermögens verwalten.
Margendruck
Für die Branche ist die Popularität der ETFs ein zweischneidiges Schwert. Einerseits haben sie die Finanzmärkte für Millionen von Erstanlegern geöffnet. Andererseits haben sie den strukturellen Druck auf die Margen verstärkt.
„ETFs sind eine Revolution in der Vermögensverwaltung. Sie senken die Kosten und schaffen aufgrund ihres möglichen Intraday-Handels Freiheit für die Anleger“, so Siebel. „Aber sie verändern auch die Wirtschaft unserer Branche.“
Bei passiven Produkten werden die Gebühren auf ein Niveau gedrückt, bei dem nur die größten Anbieter in großem Maßstab profitabel arbeiten können. Dies zwingt die Verwalter dazu, massiv in Technologie, Vertrieb und Compliance zu investieren, während sie gleichzeitig in einem Preiskampf um den niedrigsten Preis miteinander konkurrieren. Kleinere Unternehmen laufen Gefahr, verdrängt zu werden, wenn sie sich nicht durch aktive Strategien, Alternativen oder Nischenangebote abheben können.
Für Späteinsteiger auf dem ETF-Markt sind die Hürden am größten. Wenn ein ETF nur 20 Millionen Euro einsammelt, reicht das kaum aus, um die Datenkosten zu decken. „Man braucht Hunderte von Milliarden, möchte man international konkurrenzfähig sein“, sagt Siebel.
ELTIF als Gegengewicht
Ein mögliches Gegengewicht bietet der ELTIF, der mit der ELTIF 2.0-Verordnung überarbeitet wurde, um private Ersparnisse in Infrastruktur, Risikokapital und andere illiquide Strategien zu lenken.
Siebel erkennt das Potenzial an, betont aber auch die Herausforderungen.
„ELTIFs sind anspruchsvollere Produkte, mit Liquiditäts- und Berichtshürden. Sie erfordern ein anderes Maß an Anlageberatung“, sagt er. Auch die betrieblichen Anforderungen sind höher, von der Fondsbuchhaltung bis zu den Vertriebsnetzen, sodass sie alles andere als eine schnelle Lösung für das Problem der Margenerosion sind.
Für Vermögensverwalter ist der Kontrast groß: ETFs drücken die Kosten durch Skalierung und Standardisierung, während ELTIFs höhere Margen versprechen, aber erhebliche Investitionen erfordern und Liquiditätsrisiken bergen.
Europäischer Kontext
Das Wachstum in Deutschland ist Teil eines größeren europäischen Booms. In ganz Europa wuchsen ETFs bis Ende 2024 zu einer Branche mit einem Volumen von 2,1 Billionen Euro an und verzeichneten laut EFAMA allein in diesem Jahr Rekordnettozuflüsse von 269 Milliarden Euro. Der Markt basiert überwiegend auf UCTIS, wobei mehr als 90 Prozent der domizilierten Vermögenswerte auf Irland und Luxemburg entfallen. Aktien-ETFs dominieren mit etwa drei Vierteln der Bestände, Anleihen machen etwa ein Fünftel aus, wobei die Anleger die größten Beträge in US-amerikanische und globale Large-Cap-Aktien investieren.