
Nachhaltige Geldanlage ist nicht länger nur ein moralisches Projekt oder eine Modeerscheinung. ESG wird nicht mehr als bloße Checklisten oder Vorschriften angesehen, sondern gilt zunehmend als integraler Bestandteil des Risikomanagements. Investoren in Großbritannien und den Niederlanden betrachten Nachhaltigkeit vermehrt als wesentlich und ausschlaggebend für die langfristigen Erträge.
Wer dieses Jahr an der Nachhaltigkeitskonferenz von Morningstar in Amsterdam teilgenommen hat, hat sofort gemerkt, dass die Atmosphäre anders war. Die Banner waren kleiner, die Sponsorenliste kürzer. Nur State Street stand noch im Vordergrund. Die ‚teure‘ Übernahme von Sustainalytics durch Morningstar war ebenso häufig Thema der Gespräche zwischendurch wie Klimaziele oder neue Governance-Regeln.
Es wirkte fast wie eine Metapher für die gesamte Branche. Eine Branche, die noch vor ein paar Jahren unaufhaltsam schien, steht auf der Bremse. Es gibt Entlassungen in ESG-Teams, die Zuflüsse in nachhaltige Fonds stocken und die Öffentlichkeit ist deutlich kritischer geworden.
Wer genauer hinschaut, sieht aber keinen Rückgang, jedoch sehr wohl eine Verschiebung. Während ESG früher als ein moralisches Projekt oder eine modische Checkliste für Compliance dargestellt wurde, ist es heute ein integraler Bestandteil des Risikomanagements.
Vom Idealismus zum Realismus
„ESG ist absolut lebendig“, sagt Dan Grandage, Chief Sustainability Officer von Aberdeen. „Wir sehen eine Neuausrichtung der Idee insgesamt. Es geht nicht um Slogans, sondern darum, Risiken und Chancen zu erkennen, sie in den Prozess einzubeziehen und entsprechend zu handeln. Das wird auch so bleiben.“
Karel Nierop, Head of Products & Solutions bei Triodos Investment Management, erkennt diese Trendwende ebenfalls. „Unternehmen, die das Klima und die Artenvielfalt berücksichtigen, sind weniger Risiken ausgesetzt als diejenigen, die dies nicht tun. Das schlägt sich in der Rendite nieder. Rentenfonds steigen daher massenhaft aus dem Öl- und Gassektor aus: Sie betrachten dies als die Stranded Assets der Zukunft.“
Herzstück des Portfolios
Die in Amsterdam präsentierte Morningstar-Umfrage Voice of the Asset Owner zeigt, dass 61 Prozent der institutionellen Anleger ESG heute als Teil ihrer treuhänderischen Pflicht betrachten. Im Vorjahr waren es erst 53 Prozent. Nur 6 Prozent sehen darin ein Hindernis. Immer mehr Fonds integrieren ESG nicht mehr nur teilweise, sondern betrachten es als Herzstück des Portfolios.
„Anleger setzen voll auf Nachhaltigkeit, insbesondere in Europa“, sagt Rob Edwards von Morningstar Indexes. „Es handelt sich nicht mehr um eine Philosophie, sondern um ein materielles Risiko“, so der Geschäftsführer von Indexes.
Verwässerung des Labels
Obwohl die Zahlen überzeugen, verliert das Wort ESG seinen Glanz. Investoren sprechen lieber von ‚nachhaltigen‘ oder ‚verantwortungsvollen‘ Investitionen. Laut Hortense Bioy, der Leiterin der Abteilung für nachhaltige Investitionen bei Morningstar, ist dies kein Verlust, sondern ein Gewinn. „Nachhaltiges Investieren bleibt als Rahmen bestehen. Der Klimawandel wird nicht verschwinden. Was fehlt, sind mehr Maßnahmen.“
Die Regulierung erzwingt diese Ehrlichkeit. Der europäische Kampf gegen Greenwashing hat bereits Hunderte von Fonds dazu veranlasst, ihren Namen zu ändern.
Kinderkrankheiten des Business
Nur wenige Deals haben den Hype so stark verkörpert wie der Kauf von Sustainalytics durch Morningstar im Jahr 2020. Für 185 Millionen Dollar ging die in Amsterdam ansässige Ratingagentur in amerikanische Hände über.
Fünf Jahre später zeigt sich, dass der Geschäftsbereich mit Gegenwind zu kämpfen hat. Im zweiten Quartal 2025 verzeichnete das Unternehmen „…höhere Kosten aufgrund von Abfindungszahlungen im Zusammenhang mit einer gezielten Reorganisation bei Morningstar Sustainalytics.“ Im vergangenen Jahr sanken die Einnahmen aus dem Bereich ESG Risk Ratings aufgrund von „…increased cancellations due to vendor consolidation and softness in parts of the retail asset management and wealth segments“ („vermehrte Stornierungen aufgrund der Konsolidierung von Anbietern und der Schwäche in Teilen der Vermögensverwaltung für Privatkunden und des Wealth-Segments“). Einst als Premiumprodukt verkauft, werden ESG-Daten heute von vielen Kunden als Standard-Input betrachtet, der leicht ersetzt oder zusammengeführt werden kann.
Im April strich Morningstar weitere 80 Stellen bei Sustainalytics, zusätzlich zu einem 12-prozentigen Personalabbau gegenüber zwei Jahren zuvor. In der gesamten Branche verschwinden ESG-Stellenbezeichnungen. Laut Bloomberg haben weniger als 7 Prozent der Personen, die im Jahr 2020 eine spezifische ESG-Stelle besetzt haben, diese Position auch heute noch.
Das bedeutet nicht, dass Nachhaltigkeit aufgegeben wurde. Es bedeutet, dass von Analysten, Portfoliomanagern und Risikomanagern nun erwartet wird, dass sie Klima und Governance selbst integrieren. Die separate ESG-Abteilung geht, so wie auch das ESG-Label auf einem Fonds, in den Mainstream über.
Energie
Dennoch gibt es einen Bereich, in dem ESG mehr denn je sichtbar ist: Energie. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur werden 2025 etwa 2000 Milliarden Dollar in saubere Energie fließen, fast doppelt so viel wie in fossile.
„Der Geist ist aus der Flasche“, sagt Grandage von Aberdeen. „Photovoltaik, Elektroautos, Wind. Das verschwindet nicht mehr. Die Politik kann das verzögern, aber sie wird es nicht aufhalten.“
Zwei Welten
Das Abstimmungsverhalten der Anleger zeigt, wie sehr die Anschauungen auseinandergehen. In den USA stimmt Vanguard schon seit zwei Jahren gegen jede nachhaltige Resolution. Blackrock hat seine Unterstützung drastisch reduziert. Europäische Fonds setzen ihre Unterstützung für Klimavorschläge und soziale Vorschläge hingegen unvermindert fort.
„Die Anleger malen nicht mehr mit einem breiten ESG-Pinsel“, sagt Lindsey Stewart von Morningstar. „Sie konzentrieren sich auf Themen, die wirklich materiell und umsetzbar sind.“
Schweigen in Amerika
Bemerkenswert ist auch das Aufkommen des ‚Greenhushing‘: Fondsmanager, die Nachhaltigkeit umsetzen, aber lieber nicht darüber sprechen. Die Furcht vor politischem Gegenwind in den USA ist groß. „Dieses Schweigen bedeutet nicht, dass ESG vom Tisch ist“, sagt Stewart, „es zeigt, wie sehr das Thema politisiert ist.“
Auch Nierop weist auf das amerikanische Paradoxon hin. „ESG wird in Washington eigentlich überhaupt nicht mehr gutgeheißen. Im Gegenteil besteht der Druck, mehr in Öl und Gas zu investieren. Aber das intrinsische Interesse von Großanlegern an Ökologie bleibt bestehen.“
Neue Phase
Was sich in Amsterdam und darüber hinaus abzeichnet, ist klar: ESG ist in eine neue Phase eingetreten. Der Hype ist vorbei, die politische Stimmung ist stärker gespalten. Aber die zugrunde liegenden Faktoren – Klimarisiko, soziale Stabilität, gute Verwaltung – sind grundlegender denn je.
„Letztlich entscheidet der Markt, wohin das Kapital fließt“, sagt Nierop. „Es geht zunehmend an Unternehmen, die Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit anbieten.“
Grandage fasst es wie folgt zusammen: „Es kommt nicht auf den Idealismus an. Die finanzielle Logik des Wandels wird immer stärker. Deshalb wird ESG weiter bestehen bleiben.“