
Das Private-Banking-Geschäft von ABN Amro ist für Akteure, die eine Übernahme der Bank erwägen, ein Pluspunkt, auch wenn die Finanzergebnisse dieser Sparte überwiegend schwächer sind als die der Konkurrenz.
Die Gerüchte um eine Übernahme von ABN Amro werden von Analysten und anderen Marktexperten sehr ernst genommen. Bloomberg schrieb Ende September, dass KBC Optionen zur Übernahme der niederländischen Bank prüfe. Der belgische Bankversicherer dementierte umgehend, aber das Thema war in der Welt. Die häufig gehörte Theorie: Die Nachricht sei ein Versuchsballon gewesen, gestartet von einer anderen europäischen Bank, die konkrete Pläne für ABN Amro hat.
Eine Übernahme durch KBC wird von vielen als „unlogisch“ bezeichnet. KBC gilt als ‚typische Privatkundenbank‘, während ABN Amro eher als Firmenkundenbank betrachtet wird, jedoch mit einem starken Private-Banking-Bereich. Die beiden Banken ergänzen sich also eher, als dass sich ihre Fusion für die Nutzung von Größenvorteilen anbietet.
Für Johann Scholtz, Aktienanalyst bei Morningstar, ist dies jedoch kein Grund, eine solche Fusion sofort zu verwerfen. „Gerade die Diversifizierung ist in einem solchen Fall ein wichtiges Motiv für den Erwerber. Privatkundenbanken stützen sich hauptsächlich auf Zinserträge, im Private Banking sind Gebühren eine wichtige Einnahmequelle. Diese sind weniger konjunkturabhängig“, sagt Scholtz.
Praktisch alle großen europäischen Banken haben diese Diversifizierung inzwischen zu einem strategischen Schwerpunkt gemacht. Dazu gehört zum Beispiel der Schritt von ING Anfang dieses Jahres, seine Beteiligung an Van Lanschot Kempen auf rund 20 Prozent zu erhöhen. Im Mai dieses Jahres übernahm Belfius eine 33-prozentige Beteiligung am Vermögensverwalter Candriam.
Geringerer Kapitalbedarf
Private Banking und damit auch die Vermögensverwaltung haben sich zu einem wichtigen Faktor im Konsolidierungsprozess, der den europäischen Bankensektor derzeit fest im Griff hält, entwickelt, zumal Private Banking nicht nur eine andere Art von Einnahmen, sondern auch höhere Einnahmen bringt. „Private Banking ist im Allgemeinen profitabler als das standardisierte Privatkundengeschäft“, sagt Scholtz. Dies ist vor allem auf den geringen Kapitalbedarf beim Private Banking zurückzuführen: Die Produkte, die eine Bank in diesem Segment anbietet, sind im Allgemeinen weniger riskant als im standardisierten Privatkundengeschäft. So beträgt das Risikogewicht eines Hypothekendarlehens in der Regel 35 Prozent, während es bei einem Darlehen mit einem Aktienportfolio als Sicherheit in der Regel 20 Prozent beträgt. Scholtz: „Die Eigenkapitalrendite von Private-Banking-Banken ist daher im Allgemeinen höher als die von Privatkundenbanken.“
Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt: Da im Private Banking die Kundenbeziehung sehr wichtig ist, sind die Kosten höher. In der ersten Hälfte des Jahres 2025 lag das Verhältnis zwischen Aufwand und Erträgen für den Private-Banking-Teil von ABN Amro nach Angaben von Morningstar-Analyst Scholtz bei 75 Prozent, während das Verhältnis für den standardisierten Privatkundenbereich 61 Prozent und für den Firmenkundenbereich 52 Prozent betrug.
Diese 75 Prozent sind auch im Vergleich zur Konkurrenz hoch. Scholtz: „Eine reine Privatbank wie Julius Baer hat eine Cost-Income-Ratio von etwa 70 Prozent, das Ziel liegt bei 65 Prozent. UBS liegt derzeit bei 67 Prozent für das Private-Banking-Geschäft in der Schweiz und im EMEA-Raum.“
Achillesferse?
Sind diese hohen Kosten die Achillesferse von ABN Amro? In der Tat führen sie dazu, dass die Eigenkapitalrendite des Private Banking der Bank nicht höher ist als die des standardisierten Privatkundengeschäfts (13 Prozent gegenüber 22 Prozent in den ersten sechs Monaten dieses Jahres).
Scholtz zufolge ist das kein Problem. „Alles in allem sind die Private-Banking-Aktivitäten von ABN Amro eher ein Trumpf für potenzielle Käufer als eine Abschreckung. Eine Bank, die selbst schon groß im Private Banking ist, wird die Größenvorteile nutzen und sich sicherlich auch der Herausforderung stellen, die hohen Kosten bei ABN Amro zu senken.“
Vor allem im internationalen Kontext eigne sich Private Banking gut hierfür, so Scholtz weiter. „Private Banking ist leichter grenzüberschreitend zu skalieren als das standardisierte Privatkundengeschäft. Privatkundenprodukte unterliegen häufiger den länderspezifischen Vorschriften. Die Unterschiede zwischen einer französischen Hypothek und einer niederländischen Hypothek sind zum Beispiel erheblich. Die Regeln für Anlagelösungen sind hingegen häufiger europäischer Natur und eignen sich hervorragend für Kunden, die beispielsweise Vermögen in mehreren Ländern haben.
Überflieger
Macht dies KBC also doch zu einem ‚logischen‘ Käufer? Unter niederländischen Marktexperten ist der Name BNP Paribas, eine der fünf größten (börsennotierten) Banken Europas, weitaus häufiger zu hören. Die Vorstandsvorsitzende von ABN Amro, Marguerite Bérard, war dort in den letzten Jahren Direktorin und außerdem haben sich die Franzosen bereits 2022 beim niederländischen Finanzministerium erkundigt, ob eine Übernahme der Bank möglich sei. Gegen den französischen Marktführer spricht die Tatsache, dass die Anleger von der Stärke der Bank nicht begeistert sind. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von knapp 8 hat die Bank offenbar nur sehr wenig Akquisitionskapazität.
Anders sieht es bei Überfliegern wie UBS und Unicredit aus, die beide ein KGV von über 20 aufweisen. Der europäische Median liegt derzeit bei etwa 10, was auch dem KGV von ABN Amro entspricht. Die finnische Bank Nordea und Intesa Saopaolo, die zweitgrößte Bank Italiens nach Unicredit, liegen ebenfalls auf diesem Niveau und gehören beide zu den Top 10 in Europa, was ihre Größe angeht. Intesa ist mit Fideuram Italiens Marktführer im Private Banking und hat bereits früher Interesse an belgischen Finanzinstituten gezeigt. Die finnische Nordea hat bereits eine ‚Geschichte‘ mit ABN Amro: Im Jahr 2016 gab es Gespräche über eine mögliche Fusion.
„Bekanntermaßen schlecht“
Aus historischer Sicht wäre das Interesse von Unicredit gelinde gesagt pikant. Diese Bank wird seit 2021 von Andrea Orcel geleitet. Im Jahr 2007 arbeitete Orcel als Dealmaker bei Merrill Lynch und war in dieser Funktion maßgeblich an dem Übernahmeangebot von Fortis, RBS und Santander für ABN Amro beteiligt. Das Trio kaufte ABN Amro für 72 Milliarden Euro und spaltete die Bank auf, aber nach dem Ausbruch der großen Finanzkrise stellte sich heraus, dass diese Ausgaben doch zu hoch für Fortis und RBS waren: Beide Banken mussten verstaatlicht werden. In einem Interview mit Orcel im Jahr 2015 bezeichnete die Financial Times die Transaktion von 2007 als „einen der bekanntermaßen schlechtesten Deals der jüngeren Vergangenheit“.